Transformation zu pestizidarmer Landwirtschaft: Praktiken, Diskurse und Politikansätze
Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln erlaubt es den Landwirtinnen und Landwirten, qualitativ hochwertige Nahrungsmittel verlässlich zu produzieren. Pflanzenschutzmittel sind jedoch auch mitverantwortlich für Umweltschäden, wie z. B. den Biodiversitätsverlust. Sie bergen auch Gesundheitsrisiken. Deshalb ist es wichtig, die Landwirtschaft hin zu einer pestizidarmen Produktion zu transformieren.
Eine Doktorarbeit bei Agroscope identifizierte Faktoren und Dynamiken, die diese Transformation beeinflussen. Dazu wurden die Praktiken von Schweizer Landwirtinnen und Landwirten, die öffentlichen Diskurse und politische Reformversuche untersucht.
Fünf Typen von Praktiken im Pflanzenschutz (PS)
Quelle: basierend auf Kaiser und Burger (2022)
Ausserdem hat eine zweite Analyse gezeigt, dass strukturelle Faktoren (z. B. Beratungsdienste) eine grössere Rolle beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln spielen als individuelle Faktoren (z. B. persönliche Normen). Somit werden der individuelle Handlungsspielraum der Landwirtinnen und Landwirte eingeschränkt und Routinen stabilisiert.
Individuelle und strukturelle Faktoren
Quelle: basierend auf Kaiser und Burger (2022) und Kaiser et al. (in Begutachtung)
Öffentliche Diskurse
Eine dritte Studie beleuchtete die öffentlichen Diskurse rund um Pflanzenschutzmittel. Anhand von 2’500 Artikeln aus der Presse konnten zwei Diskurskoalitionen identifiziert werden:
Nicht-landwirtschaftliche Akteure diskutierten vor allem die Umweltverschmutzung und Gesundheitsgefahren («Delegitimierende Storylines»). Mit diesen Themen wurde argumentiert, dass der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln nicht legitim und ein radikaler Wandel notwendig sei.
Landwirtschaftliche Akteure betonten hingegen Massnahmen zur Risikoreduktion und bspw. technologische Lösungen («Legitimierende Storylines»). Mit den Themen wurde für die Legitimität und für eine schrittweise, gemässigte Reduktion argumentiert.
Konkurrierende «Storylines» zum Thema Pestizide
Sets von «Storylines» | «Storylines» |
Delegitimierende «Storylines»: Schmutzige Pestizide Pestizide verschmutzen die Umwelt | (D1) Pestizide verschmutzen das Wasser (D2) Pestizide bedrohen andere Arten/die Biodiversität (D3) Pestizide stellen ein Risiko für die menschliche Gesundheit dar (L1) Einhaltung des Gewässerschutzes (L2) Alternative Pflanzenschutztechniken in Entwicklung/Umsetzung (L3) Technologie als Lösung |
Legitimierende «Storylines»: Abhilfemassnahmen und Reduktionsbemühungen des Agrarsektors Der Agrarsektor unternimmt alle möglichen Anstrengungen, um Einsatz und Risiken von Pestiziden zu reduzieren, aber Pestizide werden benötigt, um zu produzieren und Erträge zu sichern |
Quelle: gekürzte Version aus Kaiser (in Begutachtung)
Agrarpolitische Ansätze
Schliesslich wurde die Arbeit ergänzt um einen Vergleich von drei Reformversuchen, die mehr Umweltfreundlichkeit in der Agrarpolitik verankern wollten. Als gemeinsamer Grund für ihr Scheitern wurde ein Zielkonflikt mit dem angestrebten nationalen Selbstversorgungsgrad ausgemacht. Daraus folgt, dass Strategien wie das Verändern von Konsummustern (z. B. Foodwaste vermeiden, Fleischkonsum reduzieren) vielversprechender erscheinen als Anreize, die Produktion weiter zu extensivieren.
Quelle: Agroscope, G. Braendle/Agroscope, C. Parodi
Bedingungen für die Transformation
Zusammenfassend lassen sich Bedingungen für die Transformation ableiten:
Politikinstrumente sollten besser auf die Vielfalt der Pflanzenschutzpraktiken abgestimmt werden.
Ansatzpunkte um «Routinen zu durchbrechen» liegen stärker in den strukturellen Gegebenheiten als bei den individuellen Faktoren der Landwirtinnen und Landwirte.
Diskursive Kämpfe um Pestizide führen eher zu schrittweisen Anpassungen an gesellschaftliche Erwartungen als zu radikalem Wandel.
Es braucht für eine umweltfreundliche Produktion auch andere Konsummuster und dafür eine umfassende Agrar-Ernährungspolitik.
Literaturangaben:
Kaiser, A., Burger, P. (2022): Understanding diversity in farmers’ routinized crop protection practices. Journal of Rural Studies, 89, pp.149-160. https://doi.org/10.1016/j.jrurstud.2021.12.002.
Kaiser, A., Samuel, R., Burger, P. (in Begutachtung): Towards a pesticide-free agriculture: The potential of understanding farmers’ pesticide use as routines.
Kaiser, A. (in Begutachtung): Discursive struggles over pesticide legitimacy in Switzerland: A news media analysis.
Mann, S., Kaiser, A. (2023): Why is agricultural policy not more environmentally ambitious? Comparing failed attempts in
Switzerland. Resources, Environment and Sustainability, 11, p. 100096. https://doi.org/10.1016/j.resenv.2022.100096.
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